Harald Bodenschatz: DREI THESENBLÖCKE ZUR HISTORISCHEN MITTE BERLINS

Beitrag zum Fachkolloquium 1 der „Stadtdebatte ‚Berliner Mitte 2015. Alte Mitte – neue Liebe’“ am 15.06.2015

  1. Thesenblock

Wenn ich von historischer Mitte spreche, meine ich damit dasjenige Stadtgebiet, das im Mittelalter besiedelt war. Das für dieses Verfahren ausgewählte weitaus kleinere Gebiet, der Freiraum am Fernsehturm, ist historisch, mit Verlaub gesagt, unsinnig – denn bis vor 50 Jahren war es kein klar unterscheidbares Gebiet, sondern untrennbarer Teil der Berliner Mitte. Diese Auswahl gäbe nur dann einen Sinn, wenn man, was ich niemandem unterstelle, die 750 Jahre Geschichte vorher vergessen möchte. Der große Freiraum entstand erst nach dem Bau der Mauer, als die Mitte zum Stadtrand von Ost-Berlin wurde. Zudem hat die Auswahl eine fatale strategische Konsequenz: Sie verstärkt die Konfrontation der sich inzwischen herausgebildeten Lager statt sie aufzulockern.

  1. Thesenblock

Die historische Mitte heute ist vor allem das Produkt der beiden sehr unterschiedlichen Diktaturen auf deutschem Boden. Das gilt für die in europäischer Perspektive einzigartige Geringschätzung der alten Stadt, das gilt für die Produktion der vielen Freiräume und Brachen, die der Enteignung privaten Immobilieneigentums geschuldet sind, und das gilt für den radikal autogerechten Umbau der Mitte, der ebenfalls im europäischen Vergleich außerordentlich ist. Das Ergebnis ist eine Mitte mit verstümmelter Geschichte, eine zerstückelte Mitte, die in sich und mit ihren benachbarten Quartieren schlecht vernetzt ist.

  1. Thesenblock

An diesem Wochenende konnten viele erahnen, dass das Humboldtforum, ob es gefällt oder nicht, die Berliner Mitte tief greifend verändern wird. Wie übrigens schon das barocke Schloss der Hohenzollern, das dazu beigetragen hat, das alte Berlin in den Schatten zu stellen, zu vernachlässigen, abzuwerten. Doch was bedeutet der neue staatliche Großbau heute für die historische Mitte? Er zeigt zunächst, dass die nördliche Spreeinsel sich dynamisch verändert, während die übrige Mitte historische ihren Sinn verloren hat, stagniert, zurückbleibt.

Aus den drei Thesenblöcken lassen sich drei Schlüsselaufgaben ableiten:

  1. Die gesamte historische Mitte sollte wieder zusammengefügt und mit einer neuen Sinnstiftung reurbanisiert werden.
  2. Die autogerechte Mitte sollte in eine fußgängerfreundliche Mitte transformiert werden.
  3. Die Mitte sollte an die gesamten etwa 800 Jahre Geschichte erinnern, nicht nur an die letzten 50 Jahre.
Veröffentlicht in Presseberichte, Texte zum Stadtkern, Veranstaltungen, Visionen für die Stadtmitte

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